Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen

Dieser Ausspruch hat sich im vergangenen Jahr als geflügeltes Wort etabliert und trifft auch in Bezug auf unsere Opernproduktion la traviata den Nagel auf den Kopf. In normalen Zeiten besteht bereits die Herausforderung ein großes Orchester in einem Orchestergraben unterzubringen. Diese Herausforderung ist noch größer, wenn zusätzlicher Abstand gewahrt werden muss. Eine traviata in einer kleinen Orchesterbesetzung zu spielen, wie es für i briganti zu Beginn der Spielzeit die Lösung des Problems war, kam nicht in Frage. Eine andere kreative Lösung musste her und wurde gefunden: In einem Tonstudio, das für das Orchester groß genug war, wurde eine Aufnahme von unserer tfn_Philharmonie hergestellt, die für diese besondere Produktion genutzt wird. Dabei wird diese Aufnahme aber nicht einfach abgespielt, sondern ist Teil der Inszenierung und ergänzt sie. Genaueres zu diesem besonderen Vorgehen und der Inszenierung berichten Generalmusikdirektor Florian Ziemen und Regisseurin Beka Savić.

Wie kam es zu der Idee, la traviata mit Orchester- und Choraufnahmen auf die Bühne zu bringen?

Florian Ziemen Am Anfang, in der Probezeit im Herbst 2020, stand ganz simpel das Problem, dass diese Oper unter den Corona-Umständen und mit den geltenden Regeln nicht verwirklicht werden konnte. Das hieß, entweder dieses wunderbare Werk gar nicht zu spielen – oder ganz neu zu denken und etwas zu riskieren, das wir in »normalen« Zeiten nie unternehmen würden. Wir stehen ja sonst mit allem, was wir sind, für das Live-Erlebnis und glauben mit ganzem Herzen an die Kraft dieser gemeinsamen, unmittelbaren, unwiederholbaren Erfahrung. Aber gerade wenn man fest an etwas glaubt, kann es eine diebische Freude machen, die jetzige Ausnahme-Zeit zu nutzen und diese Überzeugungen einmal kühn herauszufordern und ein solches aus »Live« und »Konserve« gemischtes Experiment zu wagen.

Gibt es in der Arbeit mit dem Orchester einen Unterschied zwischen der Vorbereitung auf eine Live-Aufführung und auf eine Aufnahme?

Florian Ziemen Eine Aufnahme ist besonders, weil man das Werk nie am Stück musiziert und dabei Bögen und Energiekurven erschafft, sondern wie bei einem Mosaik das große Ganze im Blick behalten muss, während man in kleinen und kleinsten Teilen arbeitet, putzt und perfektioniert. Das hat einen eigenen Reiz und hat allen viel Spaß gemacht. Da wir die Solisten ja nicht aufgenommen haben, mussten wir deren Part vorher mit ihnen so genau erarbeiten, ihre Agogik und Nuancen so verinnerlichen, dass wir die Orchesterbegleitung auch ohne sie realisieren konnten. Bei heiklen Stellen haben sie sogar in einem abgeschirmten Nebenraum des Tonstudios mit uns gesungen und Rückmeldungen gegeben. Wegen der Abstandsregeln gab es noch ein Problem: Chor und Orchester konnten nicht in einen Raum, sondern mussten nacheinander aufgenommen und dann übereinander geschnitten werden. Und die Begleitungen zu den Solisten bestehen zum Teil aus winzig kurzen Abschnitten, die am Abend, den Sängern folgend, in komplizierten Timings abgespielt werden. Lauter höchst künstliche Vorgänge also, die alle ein Ziel haben: später einen natürlichen musikalischen Fluss zu ergeben.

Nun werden die Aufnahmen nicht einfach abgespielt und die Sänger_innen singen dazu, sondern es gibt eine Klangdramaturgie. Wie muss man sich das vorstellen? Was erwartet das Publikum?

Florian Ziemen Wir wollten das Medium der Tonaufnahme nicht verstecken, sondern im Gegenteil aktiv und bewusst erfahrbar machen und so auch zum Gegenstand der Wahrnehmung für unser Publikum machen. Statt nur »Ersatz« zu sein, soll diese Produktion auch eine ganz offensive Auseinandersetzung mit aufgenommener Musik sein – schließlich umgibt sie uns heute auf Schritt und Tritt, viel mehr als live gespielte Musik. Sich für den Unterschied zu sensibilisieren ist eine spannende Erfahrung. Wie? Lassen Sie sich überraschen!

Wie würdest du la traviata in drei Worten beschreiben?

Beka Savić (Das) Patriarchat. Muss. Weg.

Was fasziniert dich an der Figur der Violetta?

Beka Savić Ich habe die Oper mittlerweile insgesamt vier Mal aus nächster Nähe erlebt – als Assistentin und als Regisseurin. Jede Violetta war anders. Als Regisseurin geht es mir nicht nur um meine eigene Faszination an der Figur, sondern auch um die Vision, die die Sängerin mitbringt. Jedes Mal hat mich etwas anderes fasziniert und ich denke, das wird es sein: die Vielschichtigkeit.

Was erwartet das Publikum auf der Bühne?

Beka Savić Ausnahmslos großartige Sänger_innen. Zwei Zeit-Ebenen. Eine schreckliche Welt.

Was ist dein Lieblingsmoment in la traviata?

Beka Savić Die ersten Takte der Oper… Man hört die Spannung, Tragik und Zärtlichkeit gleichzeitig, in ein paar wenigen Tönen. Das ist unglaublich.

Hat Corona auch positive Auswirkungen auf deine Arbeit, diese Inszenierung?

Beka Savić Man lernt, weniger Angst vor »kreativen Lösungen« zu haben. Plötzlich ist der Satz »Das gehört sich nicht« oder »So macht man das nicht« deutlich seltener zu hören. Bestimmte Wände lassen sich da leichter einreißen. Ob das immer positiv ist, kann ich nicht sagen, aber dass man das im Theater eigentlich immer wieder versuchen muss, ist Voraussetzung für den Fortbestand dieser Kunstform. Es war sehr spannend, das einfach mal machen zu können.