spannender theaterabend zwischen ernsten themen und toller unterhaltung!

pinkelstadt - ab in die büsche! wird die letzte Musicalinszenierung in der Spielzeit 23_24 sein. Annika Dickel, dem Hildesheimer Publikum bestens bekannt als langjähriges Mitglied der tfn_musical_company sowie Choreografin unterschiedlicher Theaterabende in den Bereichen Musical und Operette, gibt mit pinkelstadt ihr Debüt als Regisseurin.

Dramaturgin Julia Hoppe hat mir ihr und Co-Regisseur Fabian Joel Walter bereits vor Probenbeginn über das Stück und die Inszenierung gesprochen.

pinkelstadt - ab in die büsche! - ist das wirklich der Titel?

Ja, das ist tatsächlich der Titel. Und ja: Es geht um das menschlichste aller Bedürfnisse! Der amerikanische Originaltitel des Stückes ist urinetown - the musical. Das Übersetzer-Team hat das Wort Urin im Titel durch das umgangssprachliche »Pinkeln« ersetzt - sicher auch rein technisch wegen der besseren Singbarkeit des Wortes.

↗ Was ist Pinkelstadt? Und was verbirgt sich inhaltlich hinter dem Titel?

Wir befinden uns in dem Stück in einer nicht näher genannten dystopischen Zukunft nach einer Dürrekatastrophe. Der Wasserknappheit wird mit sogenannten öffentlichen Bedürfnisanstalten entgegengewirkt: Jede Person muss fürs Wasserlassen bezahlen. Wer hinter die Büsche macht, muss nach Pinkelstadt - einem furchteinflößenden Ort, von dem niemand zurückkehrt.

pinkelstadt ist sowohl Komödie als auch Sozialkritik. Wie passt das zusammen?

pinkelstadt hat unglaublich viele Ebenen. Obwohl über 20 Jahre alt, lassen sich im Stück hochaktuelle und brisante Themen wie Klimawandel, Machtmissbrauch oder das Aufbegehren von Minderheiten finden - aber auch ein Generationenkonflikt, der Wunsch nach individueller Entfaltung und nicht zuletzt natürlich die große Liebe spielen eine Rolle. All diese, teils schweren, Themen kommen in mitunter urkomischen Dialogen daher, garniert mit großartiger, vielseitiger Musik. Wie für das Genre Satire typisch, werden auch hier die politischen und gesellschaftlichen Zustände durch Überhöhung kritisiert und teilweise bis ins Absurde gezogen - so ja schon allein die Thematik und das gewählte Setting.

↗ Und wie geht ihr in eurer Inszenierung damit um?

Bei aller Liebe zur Unterhaltung in Form von Ironie, Persiflage oder auch den großen mitreißenden Musicalnummern ist es uns wichtig, echte Figuren mit ihren Prägungen, Sorgen und Nöten zu zeigen. Die Quintessenz ist leider wie so oft: Es ist nicht alles schwarz und weiß ...

↗ In dem Musical nimmt sich das Genre selbst aufs Korn. Woran erkennt man das auch als Laie?

Es gibt mit Wachtmeister Kloppstock eine Figur, die auch als Erzähler fungiert; immer wieder begleitet von einem Mädchen namens Klein Erna, die ihm teilweise auch unangenehme Fragen stellt. Sie macht sich zum Beispiel Gedanken darüber, ob »so ein furchtbarer Titel« einem Musical mit so fröhlicher Musik »nicht den Rest geben« wird. Es wird also mit dem Vorurteil gespielt, dass Musical nur oberflächliche Unterhaltung sein kann. Außerdem werden einige andere Stücke musikalisch zitiert. Wer gut zuhört, wird vielleicht an anatevka, west side story oder les misérables erinnert ...

↗ Warum wird in dem Musical ausgerechnet das Pinkeln so teuer?

Natürlich handelt es sich auch hier um den Kunstgriff der Übertreibung. Das Thema »Urinieren« in einen unterhaltsamen Theaterkontext zu setzen, ist ja per se eine ungewöhnliche Entscheidung. Dieses absolute Grundbedürfnis der Menschen aber zudem in Zusammenhang mit Kapitalismus und Kommerzialisierung zu setzen, ist wohl die Krönung der satirischen Zuspitzung. Die weiterführenden Themen kommen uns auf politischer und gesellschaftlicher Ebene nur allzu bekannt vor: Ausbeutung von Menschen aus schwierigen sozioökonomischen Verhältnissen, Korruption, die Bedeutung von politischem Engagement und die Rolle der Medien in der politischen Berichterstattung - die Liste an Themen, die uns (auch) betreffen ist lang ...

↗ Das Stück wird hierzulande nur selten gespielt. Woran könnte das liegen?

Das Stück ist toll - aber nicht leicht auf die Bühne zu bringen. Rein praktisch ist das Musical eigentlich für ein deutlich größeres Ensemble geschrieben worden; wir mussten eine eigene Fassung für unsere zehn Hildesheimer Darstellerinnen und Darsteller schreiben. Auch musikalisch ist das eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Wirklich davon abgehalten, das Stück auf den Spielplan zu nehmen, werden andere Theater jedoch wohl eher durch die Sorge vor dem möglicherweise abschreckenden Titel und die Herausforderung, den satirischen Aspekten des Stückes gerecht zu werden. Es gilt nicht nur, die oben erwähnten verschiedenen Ebenen herauszuarbeiten, sondenr auch den richtigen Ton zu treffen und den Balanceakt zwischen Unterhaltung und Kritik zu meistern. Im Libretto ist eine sehr Brecht'sche Erzählweise angelegt, die sowohl in der Original- als auch in vielen anderen Inszenierungen beibehalten wurde. Wir haben uns für einen anderen Look und eine andere Erzählweise entschieden, auch um die Aktualität der behandelten Themen zu unterstreichen.

↗ Was wäre eurer Meinung nach ein guter Schlusssatz für dieses Interview?

Wir freuen uns auf einen spannenden Theaterabend zwischen ernsten Themen und toller Unterhaltung!