auf zum theater-live-experiment!

Regisseur Oliver Graf (OG) und Videodesigner Marc Jungreithmeier (MJ) im Gespräch mit Dramaturg Samuel Zinsli (SZ) über die europäische Erstaufführung von wenn der postmann zweimal klingelt.

OG: Am Anfang steht der gleichnamige Roman von James M. Cain von 1934. Wesentlich bekannter sind aber zwei Filmversionen, die von 1946 mit Lana Turner und John Garfield und vor allem die von 1981 mit Jack Nicholson und Jessica Lange. Der Stoff ist ein beeindruckendes Kammerspiel, eine Dreiecksgeschichte, eine berührende und brutale Liebesgeschichte. Zugleich eine Sozial- und Milieustudie, rau, dystopisch und zeitlos. Wir haben Sie daher auch nicht in einer klar identifizierbaren Zeit angesiedelt - mit historischen Bezügen, aber eben dystopisch.

Kurz gesagt geht es um Folgendes: Vagabund (Frank) trifft auf Ehepaar (Cora und Nick), das ein Diner betreibt. Die Ehe ist unglücklich, Cora und Frank verlieben sich und bringen Nick um, um glücklich zu werden. Es kommt zu Ermittlungen, die beiden werden aber freigesprochen. Glücklich werden sie trotzdem nicht, Cora wird schwanger, und es kommt zu einem tragischen Ende - alle sind tot oder unglücklich.

SZ: Das Sozialdrama erinnert ein bisschen an unseren Trilogiestoff woyzeck - Frank hat wie Woyzeck Mühe, seinem Umfeld mit Worten gewachsen zu sein.

OG: Und er erlebt wie Woyzeck Anders- und Ausgestoßensein. Soziale Zwänge spielen eine große Rolle, das macht den Stoff sehr aktuell - es geht um Fragen von Macht und sozialer Stellung. Aber eben auch um eine Liebesgeschichte.

SZ: ... bei der man sich aber schon fragen kann, wieviel davon Liebe ist und inwiefern Cora und Frank sich gegenseitig als Trittbrett zu einem besseren Leben sehen.

OG: Was nicht klappt - sie sind ja auch danach wieder unzufrieden mit der Situation. Es folgt nicht die erhoffte Idylle.

SZ: Und in was für eine Musik fasst Stephen Paulus diese Geschichte?

OG: Das ist eine sehr atmosphärische Musik, die oft filmisch wirkt. Da der Stoff wohl nicht per se nach einer Oper schreit, viel Innenleben und nicht so viel Handlung bietet, hat Paulus einen besonderen Zugang gefunden.

SZ: Stilistisch steht sie klar in der amerikanischen Operntradition etwa von Barber oder Floyd.

OG: Auch an Britten kann man denken - jedenfalls etwas anderes, als was man in Deutschland oft unter zeitgenössischer Oper versteht, keine Zwölftonmusik. Das erklärt wohl auch, warum das Stück, das in den USA häufig gespielt wird, bisher in Europa noch nicht zu sehen war. Das wird höchste Zeit! Zeitgenössische Musik darf doch auch Spaß machen. Paulus arbeitet nicht unbedingt mit Melodien oder geschlossenen Formaten wie Arien, aber atmosphärisch sehr dicht, immer ganz nah an der Szene, an der unmittelbaren Emotion der Personen dran. Handlung und Musik bedingen einander gegenseitig.

SZ: Ich denke, wer Strauss und Puccini liebt, wird sich schnell einhören können. Auffällig sind im Orchester der markante Einsatz der Bläser und die sehr wichtige Rolle der Harfe.

OG: Nicht zu vergessen das Saxophon, mit dem das Stück beginnt und das ikonisch für Amerika steht.

SZ: Dass der Stoff vor allem durch die Verfilmungen bekannt wurde, schlägt sich auch in der Inszenierung nieder.

OG: Es ist ein Experiment. Nennen wir's mal - eine Live-Film-Oper.

MJ: Das Publikum wird gleichzeitig die Herstellung und das Produkt sehen können. Den technischen Vorgang zeigen wir offen: Die Sänger_innen stehen wie in mittlerweile vielen Hollywood-Produktionen vor einem grünen Hintergrund, einem Greenscreen, und werden bei Gesang und Spiel live gefilmt. Alle Welten, in denen sie sich bewegen, werden eine Ebene drüber auf einer Leinwand zu sehen sein, wo sie mit den Sänger_innen quasi direkt zusammengesetzt werden. Im Prinzip werden die Personen in eine zeitlose Welt gesetzt, eine Mischung aus Cyberpunk, Science-Fiction, aber auch Retro-Elementen. Eine Mischwelt, die viele Zeiten in sich trägt.

SZ: Die Mischwelt hat wohl auch mit dem Stoff zu tun - denn das Gesicht des ländlichen Nordamerika verändert sich ja auch nur sehr langsam.

OG: Zudem haben wir reale Darsteller_innen in realen Kostümen, die in eine digitale Umgebung eingefügt werden - auch das ist eine Mischwelt.

SZ: Man kann noch dazu sagen, dass es nicht einfach statt z. B. drei Bühnenbildern drei gefilmte Hintergründe gibt, sondern die auf der Leinwand sichtbaren Orte sind beweglich, können sich auch mit den Figuren mitdrehen.

MJ: Genau. Es wird so ähnlich sein wie das, was meine Kinder aus ihren Videospielen kennen. Auch Kostüm- und Maskenbild sind an solchen digitalen Bildwelten orientiert. Es ist ein Versuch! Wir wissen auch nicht, wie sich das am Ende anlassen wird, ob wir es schaffen, die Darsteller_innen so zu platzieren, dass die Hintergründe wirklich zur Welt werden, die sie umgibt.

OG: Dass unsere realen 3D-Sänger_innen in eine 2D-Welt umgewandelt werden, die wiederum wie immer im Film eine 3D-Welt abbildet - das gefällt mir sehr. Man darf gespannt sein!

SZ: Zum Begriff Live-Film-Oper gehört aber auch, dass die Musik - was auf der Bühne gesungen und im Graben gespielt wird - so live und analog und »in echt« erklingt wie in jeder anderen Oper an unserem Haus.