theater muss damit zu tun haben, was uns umtreibt

endstation ist Milan Pešls erste Regiearbeit am tfn. Der gebürtige Siegener war als Schauspieler in Hamburg, München, Karlsruhe und Gießen engagiert, seine künstlerische Tätigkeit führte ihn zudem u. a. nach Kolumbien und Südkorea. Seit rund acht Jahren wird die eigene Inszenierungsarbeit immer wichtiger. Daneben betätigt er sich als Musiker und Komponist für Theater- und Hörspielproduktionen und leitet seit 2019 das Bruchwerk-Theater in Siegen. tfn-Dramaturg Samuel Zinsli sprach mit ihm noch vor Probenbeginn über seine Inszenierung.

↗ John le Carré, der Autor von endstation, ist neben Bond-Schöpfer Ian Fleming wohl der bekannteste Autor von Spionageromanen. Hattest du vor der Beschäftigung mit diesem Stück schon einen Bezug zum Agentengenre?

Nur indirekt - aber James Bond und die mission-impossible-Filmreihe begeistern mich als popkulturelle Phänomene. Schön, dass ich mit endstation das Genre besser kennenlernen kann!

↗ Die Handlung des Stücks ist schnell erzählt: Zwei Menschen teilen sich in den Siebzigerjahren ein Zugabteil auf einer Fahrt von Edingburgh nach London. Der ältere ist Beamter und hat jahrzehntelang für die Sowjetunion spioniert, und er verdächtigt den jüngeren nach und nach, auch ein Agent zu sein, der ihn aushorchen und allenfalls eliminieren soll. Ist dieser Kammerthriller schon »alles«? Oder geht es für dich darin auch noch um anderes?

Bei jeder guten Geschichte, egal, ob Agenten-, Horror- oder Liebesgeschichte, liegen meiner Erfahrung nach psychologische oder gar philosophische Fragen drunter. Die zu entdecken macht mir große Freude - und das ist in der Vorbereitung bei dem Stoff schon mal gelungen. Prinzipiell geht es bei endstation um zwei Menschen, die miteinander eingeschlossen sind und sich mit ihren Biografien, Wünschen und Sehnsüchten auseinandersetzen. Das passiert an der Oberfläche über ihre Spionagetätigkeit, aber darunter schwelt ein existentiellerer Diskurs übers Älterwerden, darüber, ob die Ziele, die man ein Leben lang verfolgt hat, überhaupt die richtigen waren. Mindestens für eine der beiden Figuren ist das nicht nur eine persönliche Rückschau, sondern es kann ihr ein wirklicher Veränderungsprozess oder sogar ein Ende bevorstehen.

↗ Darum erzählt er ja sein Leben im Laufe des Abends zumindest teilweise verschieden. Er legt keine völlig offene Beichte ab, sondern es ist - eigentlich bei beiden - immer auch die taktische Überlegung dabei: Wie erzähle ich's jetzt der anderen Person?

Bei der älteren Figur spielt sicher auch der Selbstschutz eine Rolle, er versteckt sich hinter dem Agentendasein, um sich Dinge nicht eingestehen zu müssen. Vielleicht teils auch unbewusst.

↗ Diese darunterliegenden, allgemeineren Fragen hat so ein Agentendasein, scheint mir, mit dem Leben von »uns allen« gemeinsam - darum verstehen wir endstation auch als Stück, das nicht nur als Spionagethriller funktioniert, sondern ganz grundsätzlich einen Menschen mit sich selbst konfrontiert.

Das ist sogar das Hauptanliegen, finde ich. Mir ist bei der Art Theater, die ich mache, sehr wichtig, dass es immer auch etwas damit zu tun hat, was uns umtreibt und beschäftigt. Wenn ich ein Stück erarbeite, muss ich etwas darin finden, was mich selber erschüttert.

↗ Der Weg dahin ist in diesem Fall paradoxerweise, das ganz konkrete, realistische Setting (das le Carré vorgibt) weniger real zu machen - und gerade dadurch kann es mehr mit uns zu tun haben.

Manchmal ergibt sich das, dass ein Spielort weniger ein konkreter Ort ist als ein Geisteszustand. Ich finde das besonders spannend, wenn der Ort der Handlung zugleich zur inneren Zustandsbeschreibung der Figuren wird. Deshalb ist das Zugabteil in Lars Linnhoffs Bühnenbild alptraumhaft verzerrt. Erinnerung ist ja auch verzerrt, kann nicht klar gefasst werden, bricht auseinander.

↗ Einen besonderen Stellenwert wird in endstation, wie in allen deinen Arbeiten, Musik haben - mit einem Livemusiker, Marcel Rudert, der sichtbar auf der Bühne sein wird.

Klang, Musik, Gesang interessieren mich sehr am Theater, weil sie über das intellektuelle Begreifen von Sprache hinaus andere Wahrnehmungsformen eröffnen - fürs Publikum, aber auch für die Figuren, die sich in dieser Welt bewegen. Mir liegt sehr viel daran, mit dem Musiker und auch dem Spielensemble gemeinsam einen Klang für den Abend zu finden, nicht nur eine Sprache. Die ist ja durch den Text schon vorhanden. Der Musiker ist bei mir auch Teil der szenischen Probenarbeit. Seine Stimme, sein Instrument, sein Klang ist gleichberechtigt mit dem Wort, das die Figuren sprechen, und kommuniziert damit. Einige Ideen entwickelt er natürlich schon im Voraus, aber nichts Vorkomponiertes. Marcel arbeitet stilistisch sehr vielfältig. Wir haben uns in mehreren gemeinsamen Produktionen entwickelt: Zuerst suchen wir den Klang. Dann, weil wir beide dehr technikaffin sind, kommen wir auf ein Instrumentarium. Vielleicht schälen sich im Probenprozess sogar Lieder und Texte heraus, das kann passieren. Lassen wir uns überraschen!

↗ Dann sind wir sehr gespannt, was in dem Stück und mit dem Stück passiert!